Es gibt kein Foto von Martin Margiela außer einem vermeintlichen von 1997, das mit 11 Jahren Verspätung in der New York Times gedruckt wurde. Das Problem daran: ehemalige Mitarbeiter von Martin Margiela sagen, bei dem Mann auf dem Bild handele es sich keinesfalls um Martin Margiela. Was exakt dem Prinzip Margiela entspricht, egal, wer da nun auf diesem Foto zu sehen ist. Erstaunlicherweise führte das Foto bei seinem Erscheinen aber zu überhaupt keinem nennenswerten Aufruhr in der dem Personenkult verfallenen Modeindustrie. Vielleicht gibt es kein wirkliches Interesse daran, Margiela zu enttarnen, weil der Spaß dann ja irgendwie auch vorbei wäre. Im Dezember hat Margiela nun tatsächlich die Maison Martin Margiela und damit die Bühne, die er eigentlich nie richtig betreten hat, nach mehr als 20 Jahren verlassen. Was bleibt vom Meister der surrealen Mode und wie geht es weiter mit seiner Marke?

 

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 //Foto: Michael Hoelzl©2013VG-Bildkunst-Bonn//

 

Eine Duftmarke hat Martin Margiela noch gesetzt, bevor er eingepackt und das Designerkollektiv in der Rue Saint-Maur sich selbst überlassen hat. Sein Parfum heißt „Untitled“ und wurde in Zusammenarbeit mit L’Oréal entwickelt. „Ich denke, das Parfum für L’Oreal war Martins letzter Akt für Maison Martin Margiela. Ein surrealistischer Duft – ähnlich vielleicht Marcel Duchamps „Pariser Luft“ – gleichzeitig auch sehr autobiografisch, indem er uns an Martins langjährigen Favoriten Patchouli erinnert. Und was für eine Flasche: fashion and the… bubble,“ schreibt Chris Dercon, Direktor des Hauses der Kunst in München. Über die Wahl des Partners könnte man sich wundern – gehörte MMM nicht ohnehin seit ein paar Jahren zu Renzo Rossos mächtigem Diesel-Konzern, womit es längst, wenn auch indirekt, im Mainstream angekommen ist. Margiela ist gegangen, der Duft ohne Titel wird uns wahrscheinlich noch viele Jahre auf den Straßen von Paris, Berlin und Tokio anwehen wie der Duft eines Geliebten, der noch lange im Raum schwebt. Aber blicken wir zurück. Martin Margiela wuchs als Sohn eines Parfum- und Perückenhändlers im belgischen Limburg auf und studierte später an der Königlichen Akademie der Schönen Künste in Antwerpen. Dort, so heißt es, sei er quasi die Nummer 7 der legendären Antwerp Six gewesen – Bikkembergs, Demeulemeester, van Beirendonck, van Noten, Yee und van Saene – aber wer sich mit dem Phänomen Margiela und seiner Geschichte befasst, stößt immer wieder auf Ungereimtheiten, so auch hier. Die Zusammensetzung der Antwerp Six wechselt je nach Quelle, es scheint, als würde man nach Informationen Suchende ganz bewusst verwirren. Jedenfalls schloss Margiela sein Studium bereits vor den anderen ab, ging nicht mit nach London und machte sich nach ein paar Assistenzjahren bei Jean Paul Gaultier 1988 zusammen mit seiner Partnerin Jenny Meirens als Maison Martin Margiela selbständig. Nebenbei war er von 1998 bis 2003 Chefdesigner des eher konservativen Hauses Hermès, was angesichts seines avantgardistischen Ansatzes seltsam anmutet, aber für seine ausgeprägte Liebe zum Handwerk spricht, aus dessen genauer Kenntnis bestimmte Designs überhaupt erst entstehen konnten. „Es geht nicht um Recycling und Dekonstruktion, sondern um gutes Schneiderhandwerk,“ fasst Linda Loppa, die Margiela von Anfang an als frühere Intendantin des berühmten MoMu (Modemuseum in Antwerpen) förderte und heute Direktorin der Polimoda (International Institute of Fashion Design and Marketing) in Florenz ist, Margielas Ansatz zusammen. Nur wer weiß, wie ein Blazer geschnitten ist, kann ihn auch dekonstruieren.

 

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 //Foto: Michael Hoelzl©2013VG-Bildkunst-Bonn//

 

Für die 90er Jahre war die Vorgehensweise Margielas geradezu unerhört. Zur Blütezeit des Pomp und des Personenkultes verweigerte er sich dem Medienrummel um die eigene Person. Schon bald delegierte er Interviews an sein Pressebüro, man sprach von „wir“, von einer kollektiven Identität, die sich einem Geheimbund gleich im Pariser Atelier zusammenfand und im Verborgenen an immer neuen Kreationen wirkte. Gemeinsam, gelenkt von ihm, dem Meister aus Flamen, von dem noch heute alle schwärmen, die dabei waren. „Du würdest ihn mögen,“ sagt einer, der mit ihm gearbeitet hat. Bescheiden sei er, zurückhaltend und empathisch. Manchmal sei er im Mini-Cooper auf den Hof gefahren, oft sei er aber auch einfach zu Fuß gekommen. Einen eigenen Arbeitsraum habe Margiela nicht gehabt. Der einzige Luxus, den er sich leistete, sei die ihm vorbehaltene Treppe in das Atelier gewesen. Seine Mitarbeiter wussten nie, ob er vielleicht schon da war oder gleich kommen würde, oder möglicherweise doch nicht. Allerdings war seine konzeptionelle Methodik vom Team ohnehin so intensiv verinnerlicht, dass er bei Erscheinen auch kaum wahrgenommen wurde. Radikal war sein Ansatz, das Unsichtbare nach außen zu kehren, Altes in einen neuen Kontext zu bringen, das Neue zu antikisieren und das Kollektive über das Persönliche zu stellen. Manches ging dabei ins Groteske. Die Models trugen Haarperücken über den Gesichtern, defilierten mit schwarz geschminkten Augenbalken, ihre Köpfe wurden mit Nylonstrümpfen anonymisiert. Möbel bekamen Hussen, Böden wurden einheitlich geweißt. Margielas Mitarbeiter waren stets in weiße Kittel gehüllt. Das betraf alles und alle und war ein ausgesprochenes Dogma, sogar für die Kantinenköche. Er, Jenny Meirens und ein weiterer Mitarbeiter trugen diese Farbe aber nie. Auf geradezu maßlose Art zelebrierte Margiela seine Bescheidenheit und Zurücknahme und katapultierte sich gerade so in den Olymp des Personenkults. Es gipfelte darin, dass er sich irgendwann überhaupt nicht mehr fotografieren ließ, auch von engen Mitarbeitern gab es keine Bilder mehr und Interviews, wenn überhaupt, nur noch schriftlich. Ein merkwürdiger Habitus für jemanden, der in einer profilneurotischen Branche, die vor allem von Selbstinszenierung lebt, eine nicht immer geschätzte, aber über lange Zeit zentrale Rolle spielt. Erstaunlich auch, dass das Konzept des Nichterscheinens mehr als zwanzig Jahre lang konsequent umgesetzt werden konnte. Und beinahe noch erstaunlicher, dass Martin Margielas konzeptionelles Understatement noch nach seinem offiziellen Ausscheiden aus dem Unternehmen, das seinen Namen trägt, von Dritten wie selbstverständlich fortgeführt wird. Vielleicht geschieht dies tatsächlich aus Respekt.

 

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 //Foto: Michael Hoelzl©2013VG-Bildkunst-Bonn//

 

Mit den markanten No-Logos hat Margiela den Grundstein zu einer Bewegung gelegt, die in seiner Anfangszeit Underground war und heute beinahe Mainstream ist. Welch’ passende Ironie: sein No-Logo als Branding ist um ein vielfaches prägnanter, als es ein Etikett mit gut lesbarem Markennamen je sein könnte. Der einfache Stoffschnipsel, in immergleicher Art mit groben Stichen in die Kleidung geheftet, ist eine klare Kennzeichnung, die Margielas Kleidung unmissverständlich ihrer Herkunft zuordnet. Die Nummerierung erfolgt nach klar festgelegten Codes, die Eingeweihte wie Hieroglyphen dechiffrieren und wie ein Mantra beten. So steht die 0 für die von Hand gefertigte Artisanal-Kollektion, die 3 steht für Parfum, 22 für Schuhe, 11 für Accessoires, 13 für Objekte und Publikationen, usw. Den Zahlen 0 bis 23 ist konsistent eine bestimmte Linie oder ein bestimmtes Projekt zugeschrieben; in einer Zahlenreihe wird die jeweils geltende von einem schlichten Kreis umschlossen. Wie Rei Kawakubo auch war Martin Margiela Role-Model einer Ära und beeinflusste die Talente des zeitgenössischen Fashion Business. Haider Ackermann, Raf Simons oder Viktor & Rolf – alle konzeptionell Arbeitenden, die sich heute großer Popularität erfreuen, sind von ihm geprägt. Wie sehr, lässt ihre Reaktion auf die Anfrage einer Stellungnahme zum Kollegen vermuten: „Ich glaube nicht, dass er dazu etwas zu sagen hat, da er keinerlei Verbindung zu ihnen (MMM, Anm.d.R.) hat,“ war die prompte Antwort von Haider Ackermanns PR-Abteilung in Paris – was leicht verschnupft klingt, wenn man bedenkt, dass der in Antwerpen ausgebildete Kolumbianer kurzzeitig für den Posten des Creative Directors im Haus Margiela im Gespräch war. Ähnliches ist von Raf Simons Presseabteilung zu vernehmen, auch wenn diese sich diplomatischer auszudrücken weiß. Und selbst das Label BLESS, das immerhin im gleichen Pariser Hinterhof logierte, mit Margiela zumindest gut bekannt war und oft als Epigone wahrgenommen wird, gibt sich zugeknöpft, mit der Begründung, dass das Haus Margiela „durch Martins Verlassen auch ein wenig an Bedeutung verloren“ habe. Ob es die Angst vor dem Vergleich ist, schlichter Zeitmangel oder branchentypische Borniertheit? Das Gesicht wird jedenfalls gewahrt, das eigene und das von Martin Margiela.

 

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//Foto: Michael Hoelzl©2013VG-Bildkunst-Bonn//

 

Auch nach seinem Fortgang werden die Rätsel um Margiela nicht gelöst. Mit Martin Margiela ist es wie mit dem Kopf eines Geheimbundes, dessen Mitglieder auf mysteriöse Weise dazu gebracht werden, zu schweigen. Nicht nur Margiela selbst, auch die Strategie des Hauses gibt Rätsel auf. Einerseits beschwört MMM in der medialen Verweigerung eine nonkonformistische Avantgarde, die sich den Gesetzen der Branche verweigert, andererseits befinden sich die Boutiquen an schillernden Kultstätten wie der Mailänder Via della Spiga, in der Nähe des Palais Royal in Paris, im schicken Tokioter Distrikt Shibuya oder an der Münchner Leopoldstraße – und dass der Store ausgerechnet in Beverly Hills nicht leicht zu finden ist, macht die Wahl des Standorts auch nicht subversiver. Aber vielleicht sind das die Kompromisse, die man schließen muss, wenn man seine Mitarbeiter bezahlen und den Rücken für seine Projekte frei haben will. Kreativität ist ohne Kapital eben recht schnell erschöpft. Die Tatsache, dass Martin Margiela nie wie ein typischer Chefdesigner gearbeitet hat, mag der Grund dafür sein, dass es tatsächlich in seinem Sinn weitergeht, möglicherweise ganz anders als es bei Helmut Lang, Wolfgang Joop oder auch Jil Sander der Fall war. Auch sie wurden von großen Konzernen aufgekauft – doch das von ihnen verkörperte Design wurde im Anschluss verraten. Vielleicht hat Margiela es wirklich geschafft, seinem Team den Kollektivgedanken so stark einzuprägen – und die Weigerungen, ihn preiszugeben, der Presse Bilder oder auch nur eine Beschreibung von ihm oder seinem Gesicht zuzuspielen, sprechen dafür – dass sein Konzept auch ohne ihn weitergeführt wird. Wie es im Märchen „Des Kaisersneue Kleider“ nur die Idee anstatt des Stoffes gibt, bedarf es für Maison Martin Margiela keiner greifbaren Person. Konzept geht über Körper, die Linie lebt im Schwarm. Das dies gelingt, lässt auch die Präsentation der Homecollection im eleganten Mailänder Corso Como anlässlich des Salone del Mobile hoffen. Als wäre nichts geschehen gibt sich das Who-is-Who der internationalen Fashion- und Designelite im April 2010 zu „Position Assis“, „The Maison in a Room“ und „Moustache Guard“ die Klinke in die Hand.

 

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 //Foto: Michael Hoelzl©2013VG-Bildkunst-Bonn//

 

Die Maison Martin Margiela Interior Linie greift das Moment der Täuschung des Trompe-l’oeil auf, das schon in Margielas Kleidung eine große Rolle spielt. Entstanden aus einer konkreten Situation – das Atelier zog aus der herrschaftlichen Maison Particulière in ein zwar schönes, aber teils sehr billig umgebautes ehemaliges Kloster in der Nähe der Rue Oberkampf– begann man, die Stuckelemente der früheren Räume auf Papierbahnen zu drucken, die barocken Türen, das abgelaufene Parkett, und damit den neuen Ort zu verändern, ihm eine andere Identität zu geben, vorwiegend in Weiß, der Farbe des leeren Blattes, das es noch zu beschreiben gilt. Inzwischen hat sich die Interiorlinie verselbständigt. Es gibt Kooperationen mit Droog, luxuriösen Hotels, der Elle Décoration und – man wagt kaum es auszusprechen – im Juni 2009 hat Ikea eine Ausstellung mitfinanziert. Margiela ist gegangen, er lässt sein Haus und dessen Bewohner hinter sich. Die Räume werden sich aufs Neue füllen. Wieder und wieder. Und wer weiß, vielleicht mischt er sich einmal unter die Weißkittel in der Rue Saint-Maur, nur so aus Spaß. Wer würde das bemerken?

 

 

 

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//Foto: Michael Hoelzl©2013VG-Bildkunst-Bonn//

Dieser Beitrag wurde auch in TRAFFIC News to-go veröffentlicht.